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Titel: Anmerkung: Umfang und Ausgestaltung des Akteneinsichtsrechts bei der Vergabe des Strom- und Gaskonzessionsvertrages gemäß § 47 Abs. 3 EnWG
Behörde / Gericht: LG Leipzig
Datum: 18.01.2019
Aktenzeichen: 05 O 2411/18
Artikeltyp: Arbeitshilfen und Hinweise
Kategorien: Energie(wirtschafts)recht, Wettbewerbs-/Kartellrecht
Dokumentennummer: 19005164 ebenso Versorgungswirtschaft 4/2019, Seite 118

Anmerkung: Umfang und Ausgestaltung des Akteneinsichtsrechts bei der Vergabe des Strom- und Gaskonzessionsvertrages gemäß § 47 Abs. 3 EnWG

- LG Leipzig, Urteil vom 18.01.2019 - 05 O 2411/18 -*

Anmerkung:

Die Entscheidung des LG Leipzig wirft Fragen insbesondere zu Umfang und Ausgestaltung des Akteneinsichtsrechts gemäß § 47 Abs. 3 EnWG auf. So geht das LG Leipzig davon aus, dass es im Rahmen der Akteneinsicht der Gemeinde obliegt zu prüfen, ob geschwärzte Tatsachen und Umstände als geheim einzustufen sind. Die Gemeinde sei in diesem Rahmen verpflichtet, die widerstreitenden Interessen der Bieter abzuwägen und das Ergebnis dieser Abwägung aus Gründen der Transparenz und des effektiven Rechtsschutzes zu begründen.

Diese Auslegung kann nicht unwidersprochen bleiben. Das LG Leipzig übersieht insoweit drei wesentliche Aspekte: die subjektive Komponente von Betriebsgeheimnissen (I.), den Willen des Gesetzgebers (II.) und die Grundsätze der sekundären Darlegungslast (III.).

I. Die subjektive Komponente von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen

Das Bundesverwaltungsgericht beschreibt in einer Entscheidung aus dem Jahr 20051 Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse als »im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Unternehmens stehende Umstände oder Vorgänge, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt, für Außenstehende aber wissenswert sind, die nach dem bekundeten Willen des Betriebs- oder Geschäftsinhabers geheim zu halten sind und deren Kenntnis durch Außenstehende dem Geheimnisschutzträger zu einem Nachteil gereichen kann.«

Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse beinhalten damit eine subjektive Komponente, nämlich den bekundeten Willen des Betriebs- oder Geschäftsinhabers, Umstände oder Vorgänge geheim zu halten. Das LG Leipzig geht indes offenbar davon aus, dass sich die Gemeinde über diesen - in der Schwärzung von Unterlagen - bekundeten Willen hinwegzusetzen hat und ihren eigenen Willen an die Stelle des Betriebs- oder Geschäftsinhabers setzen darf. Auf welcher rechtlichen Grundlage dies erfolgen darf, ist der Entscheidung nicht zu entnehmen. Jedenfalls die Gesetzesbegründung zu § 47 EnWG gibt für die Auffassung des LG Leipzig keine Anhaltspunkte, sie widerspricht dieser vielmehr (siehe hierzu unter II.)

II. Der Wille des Gesetzgebers

Blickt man in die Entstehungsgeschichte der Regelungen zur Akteneinsicht im EnWG wird man feststellen, dass der Gesetzgeber die vom LG Leipzig vertretene Rechtsfolge gerade nicht eintreten lassen wollte. So ist der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften zur Vergabe von Wegenutzungsrechten zur leitungsgebundenen Energieversorgung zu § 47 Abs. 3 EnWG zu entnehmen2: »Dem Rechtsgedanken aus § 111 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen folgend ist jedoch das Recht der Beteiligten auf Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen zu beachten. Die Gemeinde kann von den beteiligten Unternehmen im Rahmen der Übermittlung von Dokumenten einen entsprechenden Hinweis bzw. die Kenntlichmachung solcher Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse fordern.«

Der Bundesrat erklärt in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf3: »Ein zusätzlicher Aufwand der Kommunen - die Unterlagen auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu durchsuchen, darüber zu entscheiden, sowie die Unterlagen schwärzen zu müssen - sollte vermieden werden. Darüber hinaus kann damit auch vermieden werden, dass die Kommune bei ungerechtfertigter Offenbarung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen infolge von Fehleinschätzungen schadensersatzpflichtig werden. Deshalb wird - wie im Vergaberecht bereits vorgesehen - vorgeschlagen, die Bewerber vorher bestimmen zu lassen, welche Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht herausgegeben werden dürfen (siehe auch § 111 Abs. 3 GWB).«

Die Bundesregierung antwortet auf diese Stellungnahme wie folgt4: »Die Bundesregierung teilt die Auffassung des Bundesrats, dass es zur Entlastung der jeweiligen Gemeinde sachgerecht ist, eine Kenntlichmachung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen fordern zu können. Sie geht allerdings davon aus, dass der vorgelegte Gesetzentwurf dies bereits zulässt.«

Im Ergebnis war es damit ausdrücklicher Wille des Gesetzgebers, dass die Gemeinde gerade nicht über Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Bieter entscheiden soll. Dies aus gutem Grund: die Gemeinde läuft nämlich in diesem Fall - wie der Bundesrat zutreffend feststellt - Gefahr, mit Schadensersatzansprüchen von Netzbetreibern konfrontiert zu werden.

Die Entscheidung des LG Leipzig lässt insoweit Ausführungen dazu vermissen, wie sich die Gemeinde gegenüber demjenigen Bewerber verhalten sollte, dessen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sie zu prüfen hat. Letztlich läuft die Rechtsauffassung des LG Leipzig für die Gemeinde auf ein Dilemma hinaus: Riskiere ich Schadensersatzansprüche eines Bieters, wenn ich mich über die Schwärzungen dieses Bieters bei der Akteneinsicht für einen rügenden Bieter hinwegsetze oder riskiere ich einen Verstoß gegen das Transparenzgebot und damit eine Wiederholung des Verfahrens, da ich womöglich dem rügenden Bieter zu wenige Informationen zur Verfügung gestellt habe?

Aus Gründen der Rechtssicherheit und auch um Schadensersatzansprüche zu vermeiden, müsste die Gemeinde damit zunächst mit dem Bieter, dessen Unterlagen dem rügenden Bieter zur Verfügung gestellt werden sollen, klären, welche Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse vorliegen, damit die übrigen Unterlagen (ungeschwärzt) an den rügenden Bieter weitergegeben werden können. Sollte hierbei kein Einvernehmen erreicht werden können, wäre die Gemeinde gezwungen, gerichtlich feststellen zu lassen, welche Unterlagen als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse anzusehen sind - ein erheblicher zeitlicher und finanzieller Aufwand. Dass der Gesetzgeber den Gemeinden eine solche Verpflichtung auferlegen wollte, wird sicherlich auch das LG Leipzig nicht vertreten wollen.

III. Sekundäre Darlegungslast und Lösungsmöglichkeit

Das LG Leipzig sieht den durch die ungenügende Akteneinsicht begründeten Verstoß gegen das Transparenzgebot insbesondere darin, dass der Bieter über die Gründe der Ablehnung des Angebots nicht hinreichend informiert wurde und damit nur eingeschränkte Möglichkeiten bestehen, die Entscheidung der Gemeinde zu überprüfen. Diese Argumentation verkennt die Grundsätze der sekundären Darlegungslast: So führt der BGH aus5: »Grundsätzlich muss zwar der Kläger alle Tatsachen behaupten und beweisen, aus denen sich sein Anspruch herleitet. […]. In bestimmten Fällen ist es aber Sache der Gegenpartei, sich im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei substantiiert zu äußern. Eine solche sekundäre Darlegungslast, die die Verteilung der Beweislast unberührt lässt, setzt voraus, dass die nähere Darlegung dem Behauptenden nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen […].«

Genauso verhält es sich hier. Der unterlegene Bieter möchte die Entscheidung der Gemeinde überprüfen lassen. Dies bedeutet, dass zunächst er die Tatsachen vorzutragen hat, welche seinen Anspruch auf eine Untersagung des Abschlusses eines Konzessionsvertrages mit dem obsiegenden Bieter stützen. Ist ihm das - z.B. aus Gründen der Akteneinsicht - nicht möglich oder zumutbar, so besteht für die Gemeinde die Verpflichtung, sich im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei substantiiert zu äußern. Dem klagenden Bieter entsteht insoweit kein materiell-rechtlicher oder prozessualer Nachteil.

Nicht gelöst wird hierdurch indes das Dilemma der Gemeinde, selbst über Inhalt und Umfang von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen entscheiden zu müssen. Dies kann letztlich nur der Geheimnisträger selbst oder aber ein neutraler Dritter. Eine Lösung könnte die Einbeziehung des obsiegenden Bieters als Inhaber der streitigen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse in die gerichtliche Auseinandersetzung über die Rechtsmäßigkeit eines Konzessionsvergabeverfahrens zwischen dem unterlegenen Bieter und der Gemeinde sein. Auf diesem Weg wird dem Geheimnisträger die prozessuale Möglichkeit eingeräumt, selbst über die Veröffentlichung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen zu entscheiden. Ein Interesse an einer Entscheidung zugunsten der Gemeinde und damit auch zugunsten des eigenen Zuschlags dürfte regelmäßig gegeben sein. Die prozessualen Voraussetzungen einer für die Einbeziehung in den Rechtsstreit in Betracht kommenden Streitverkündung/-beitritt oder Drittwiderklage wären indes für den Einzelfall zu prüfen.

- Rechtsanwalt Dr. Thomas Wolf und Rechtsanwältin Johanna Dörfler, Rödl & Partner, Nürnberg -

1 BVerwG, Beschluss vom 04.01.2005 - 6 B 59.04.

2 BT-Drs. 18/8184, S. 17.

3 BT-Drs. 18/8184, S. 21.

4 BT-Drs. 18/8184, S. 28.

5 BGH, Urteil vom 10.02.2015 - VI ZR 343/13, Rn. 11f.

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