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Titel: Anscheinsbeweis der Finanzverwaltung für Privatnutzung des Firmenwagens nicht nur durch Fahrtenbuch widerlegbar
Datum: 01.05.2011
Artikeltyp: Im Focus
Kategorien: Einkommensteuer/SolZ, Lohnsteuerrecht
Dokumentennummer: 11000572

Anscheinsbeweis der Finanzverwaltung für Privatnutzung des Firmenwagens nicht nur durch Fahrtenbuch widerlegbar

Die Vermutung der privaten Mitnutzung eines Firmenfahrzeugs nach den Regeln des Anscheinsbeweises, wie ihn die Finanzverwaltung benutzt, bei der Anwendung der so genannten 1%-Regelung (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG) kann nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs auch anders widerlegt werden als durch die Vorlage eines Fahrtenbuchs. Nach dem Urteil des Finanzgerichts Hessen vom 10.02.2011 (3 K 1679/10) ist der Anscheinsbeweis entkräftet, wenn tatsächliche Lebensumstände dargelegt werden, die die ernstliche Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehensablaufs bestätigen.

Sachverhalt im Urteilsfall

Die verheirateten Kläger wurden 2008 gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist Hausmann und erzielte als Betreuer einer Wohnanlage geringe Einkünfte aus Gewerbebetrieb. 2004 hatte er dafür einen Citroën Berlingo als Betriebsfahrzeug angeschafft, der zunächst auch privat genutzt wurde. Der Klägerin wurde von ihrem Arbeitgeber ein BMW 530 als Dienstwagen gestellt, der von ihr und ihrem Ehemann auch privat genutzt werden durfte. Alle Kraftfahrzeugkosten einschließlich Kraftstoff trug der Arbeitgeber. Die private Kfz-Nutzung des BMW 530 wurde von der Klägerin ordnungsgemäß versteuert. Bei der Abgabe der Einkommensteuererklärung teilten die Kläger dem Finanzamt mit, dass sie den Citroën Berlingo wegen der Überlassung des Dienstwagens nicht mehr für private Fahrten nutzten. Außer dem Citroën und dem Dienstwagen hatten die Kläger 2008 noch einen Honda Kraftroller und einen BMW Z 3, der in der Zeit von April bis Oktober zugelassen war.

Finanzamt vermutet auch für den Citroën Berlingo die Privatnutzung

Während das Finanzamt in den Jahren 2005 bis 2007 keine Privatnutzung des Citroën angenommen hatte, vermutete es 2008 nach den Regeln des Anscheinsbeweises eine solche und berücksichtigte deren Wert nach der 1%-Regelung (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG). Der Gewinn aus Gewerbebetrieb wurde entsprechend erhöht. Nach erfolglosem Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid klagte das Ehepaar vor dem Finanzgericht. Die Kläger bestreiten, den Citroën Berlingo privat gefahren zu haben. Für Privatzwecke hätten sie den höherwertigen BMW 530 der Klägerin genutzt. Das sei wirtschaftlich sinnvoll und vernünftig gewesen, weil dessen private Nutzung mit der Versteuerung im Rahmen des Arbeitsverhältnisses abgegolten worden sei. Darüber hinaus schilderten die Kläger genau ihre Privatnutzung des BMW 530; so habe der Ehemann die Klägerin einmal pro Woche mit ihrem Dienst-BMW zur Arbeit gefahren, anschließend mit dem Wagen Einkäufe erledigt und seine Frau abends wieder von der Arbeit abgeholt. Außerdem konnten die Kläger auf die geringe jährliche Fahrleistung des Citroën Berlingo verweisen, die die vorgetragene ausschließlich betriebliche Nutzung des Wagens bestätige.

FG Hessen: Finanzamt hat Ein-Prozent-Regelung zu Unrecht angewendet

Das FG Hessen hat der Klage stattgegeben und den Einkommensteuerbescheid abgeändert. Das Finanzamt habe zu Unrecht eine den Gewinn erhöhende Entnahme für die Privatnutzung des Citroën Berlingo angesetzt. Nach den Regeln des Anscheinsbeweises sei zwar zu vermuten, dass ein Firmenfahrzeug, dessen private Nutzung möglich sei, auch entsprechend genutzt werde. Dieser Anscheinsbeweis könne aber entkräftet werden. Das müsse nicht zwingend durch die Vorlage eines Fahrtenbuchs geschehen. Das FG unterstreicht unter Hinweis auf die einschlägige BFH-Rechtsprechung, dass zur Widerlegung des Anscheinsbeweises die Darlegung eines Sachverhalts genüge, der die ernstliche Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehensablaufs bestätige.

FG Hessen: Kläger haben den Anscheinsbeweis widerlegt

Nach Auffassung des FG haben die Kläger einen solchen Sachverhalt dargelegt und die Vermutung der Privatnutzung des Citroën Berlingo widerlegt. Sie hätten im Einzelnen ihre Nutzung der Fahrzeuge und ihre privaten Lebensumstände plausibel dargelegt.

Zwar entsprächen die geschilderten Abläufe nicht den üblichen Lebensumständen. Das FG Hessen hält den Vortrag aufgrund der unkonventionellen Aufgabenverteilung bei den klagenden Eheleuten aber für glaubhaft. Außerdem seien die von den Klägern vorgetragenen wirtschaftlichen Überlegungen vernünftig; die Privatnutzung des Citroën Berlingo wäre wirtschaftlich nachteilig. Weiterhin würden die vom Kläger belegte Fahrleistung des Citroen Berlingo und dessen im Vergleich zum BMW 530 der Ehefrau geringere Klasse (Status, Fahrsicherheit, Ausstattung, Alter) gegen eine private Benutzung des Citroën Berlingo sprechen. Schließlich könnten die Eheleute die meiste Zeit des Jahres außer dem BMW 530 der Klägerin auch noch den Honda Kraftroller und den BMW Z 3 für Privatfahrten nutzen.

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