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Titel: Individuelle Netzentgelte nach § 19 Abs. 2 StromNEV und EU-Beihilfefragen
Behörde / Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen)
Datum: 27.11.2019
Aktenzeichen: VI-3 Kart 868/18 (V)
Gesetz: EnWG, StromNEV
Artikeltyp: Rechtsprechung
Kategorien: Energie(wirtschafts)recht, Gebühren- und Beitragsrecht; Strom- und Gastarife; Netzentgelte
Dokumentennummer: 20005626

Individuelle Netzentgelte nach § 19 Abs. 2 StromNEV und EU-Beihilfefragen

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.11.2019 – VI-3 Kart 868/18 (V)

Leitsätze des Gerichts:

  1. Da die Europäische Kommission im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 108 AEUV mit Beschluss vom 28.05.2018 entschieden hat, dass die auf Grundlage des § 19 Abs. 2 Strom-NEV in der Fassung vom 04.08.2011 für die Jahre 2012 und 2013 gewährte vollständige Befreiung von Netznutzungsentgelten eine rechtswidrige Beihilfe im Sinne des Art. 107 AEUV beinhaltet und eine nachträgliche Genehmigung der Beihilfe abgelehnt hat, unterliegen die zu Gunsten von Letztverbrauchern genehmigten unbefristeten Befreiungen von den Netzentgelten der Rückforderung. Die Rückforderungsbeträge sind auf der Basis des vor der Einführung der unionsrechts- widrigen Netzentgeltbefreiung in Deutschland herrschenden Privilegierungsregimes zu ermitteln und entsprechen dem individuellen Netzentgelt, das der Netznutzer nach Maßgabe dieser Regelung hätte zahlen müssen.
  2. Die Ermittlung des individuellen Netzentgelts erfolgt nach der Methode des physikalischen Pfades. Ausgehend vom betreffenden Netzanschlusspunkt des Letztverbrauchers wird eine fiktive Leitungsnutzung bis zu einer geeigneten Stromerzeugungsanlage auf bereits bestehenden Trassen berechnet. Kann der physikalische Pfadmangels einer geeigneten Stromerzeugungsanlage nur zu einem Netzknoten gebildet werden, so sind dessen Kosten und zusätzlich die Kosten des vorgelagerten Netzes zu berechnen.
  3. Ebenso wie bei einer rein nationalen Anschlusssituation setzt die Bildung eines grenzüberschreitenden physikalischen Pfades die vollständige Ermittlung der Betriebskosten der in dem Pfad genutzten Betriebsmittel und damit die Kenntnis der Netzkosten voraus. Eine Schätzung der Betriebsmittelkosten ist mit dem Konzept des physikalischen Pfads, wonach der individuelle Beitrag zur Netzstabilität als Orientierungsmaßstab für die Bestimmung der individuellen Netzentgelte herangezogen wird, ebenso unvereinbar wie die Bildung eines physikalischen Pfads zur nächstgelegenen Grenzkuppelstelle unter Fiktion einer dort gelegenen geeigneten Erzeugungsanlage.
  4. Bei der Bildung eines physikalischen Pfades zu einer Grenzkuppelstelle sind die Kosten für das ausländische Netz bzw. die ausländischen Betriebsmittel in Ansatz zu bringen. Anderenfalls würde die Beschwerdeführerin bessergestellt als Letztverbraucher, für die mangels einer geeigneten Erzeugungsanlage im Netzgebiet der physikalische Pfad zu einem nationalen Netzknotenpunkt zu bilden ist.
  5. Bei der Ermittlung des Rückforderungsbetrages ist die nationale Übergangsregelung des § 32 Abs. 7 i.V.m. § 19 Abs. 2 S. 2 und 3 StromNEV jeweils in der Fassung vom 14.08.2013 nicht anzuwenden. Eine ungerechtfertigte Schlechterstellung derjenigen Letztverbraucher, deren Netzentgeltbefreiungen für die Jahre 2012 und 2013 in dem Umfang zurückgenommen werden, in dem ohne die Befreiung individuelle Netzentgelte hätten gezahlt werden müssen, ergibt sich dadurch nicht.

Bitte den Beschluss über unten stehenden Link öffnen.

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