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Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke erneut offen Stadtwerke stehen für den Umbau des Energiesystems bereit

15.03.2011 Die Reaktor-Katastrophe in Japan hat zu einer erneuten Debatte über die Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke geführt. Nach Auffassung des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) war und ist nur ein zukunftsfähiges Energiekonzept für Deutschland vorstellbar, das einen breiten gesellschaftlichen Konsens findet.

Der VKU begrüßt die Entscheidung der Bundesregierung, die sieben ältesten Kernkraftwerke in Deutschland kurzfristig abzuschalten. Die Neubewertung der Kernenergie sei vor dem Hintergrund der aktuellen Geschehnisse in Japan zwingend notwendig, sagte VKU-Hauptgeschäftsführer Hans-Joachim Reck.

Das im September 2010 verkündete Konzept habe mehrere entscheidende Webfehler. »Weder die Zukunftsfähigkeit noch die gesellschaftliche Akzeptanz der verschiedenen Erzeugungs-Alternativen sind ausreichend geprüft worden. Zudem hat man nicht bedacht, wie sich die Laufzeitverlängerung auf die Strukturen in der Stromerzeugung auswirkt «, so Reck. Im Ergebnis führte das Energiekonzept zu einer großen Rechtsunsicherheit und Investitionszurückhaltung bei den Stadtwerken.

»Die Abschaltung der Kernkraftwerke und das Aussetzen der Laufzeitverlängerung bieten die Chance, diese Webfehler im Sinne eines nachhaltigen Klimaschutzes und eines modernen, zukunftsgerichteten Energiesystems zu beheben «, kommentiert der VKU-Hauptgeschäftsführer. »Wir gehen davon aus, dass wir der Expertengruppe angehören, die nach der Ankündigung von Bundeskanzlerin Merkel eingesetzt werden soll. Die kommunalen Unternehmen stehen bereit, konstruktiv am Umbau des Energiesystems mitzuwirken. Nur ein Energiekonzept, das einen breiten gesellschaftlichen Konsens findet, kommt allen Akteuren zugute.«

Die anstehende Neubewertung der Atomenergie bietet aus VKU-Sicht die Chance, dezentrale Erzeugungsformen wie effiziente Erneuerbare-Energien-Anlagen, Kraft-Wärme-Kopplungs- und emissionsarme Kondensationskraftwerke zu stärken. Alleine die Kraftwerkskapazitäten von 4.597 Megawatt (MW), die sich bei den kommunalen Unternehmen aktuell im Bau oder im konkreten Genehmigungsverfahren befinden, reichen laut VKU aus, um die Leistung der alten Kernkraftwerke kurz- bis mittelfristig zu ersetzen. Zudem planen die kommunalen Unternehmen nach eigenen Angaben, in den nächsten Jahren weitere Kraftwerke mit einer Leistung von insgesamt 3.300 MW zu errichten, »wenn der ordnungs- und wirtschaftspolitische Rahmen dafür stimmt«, so Reck.

Auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) unterstützt das Vorgehen der Bundesregierung, während des Moratoriums eine Überprüfung der Sicherheit deutscher Kernkraftwerke vorzunehmen. Das von der Bundesregierung beschlossene Moratorium zur Laufzeitverlängerung wirft aber zahlreiche Fragen über mögliche Konsequenzen für die zukünftige Energieversorgung Deutschlands auf. Konkret geht es aktuell insbesondere um die Kompensation der vom Netz genommenen Erzeugungskapazität, die Entwicklung der Strompreise und um die Frage der Netzstabilität.

»Nach unserer Einschätzung kann der Wegfall der Erzeugung aus den betreffenden Kernkraftwerken zumindest kurz- und mittelfristig durch eine höhere Auslastung der deutschen Kohle- und Erdgaskraftwerke ausgeglichen werden«, so Hildegard Müller, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des BDEW.

Während es die Kernkraftwerke im Jahr 2010 auf nahezu 6.500 Jahresvolllaststunden brachten, leisteten die Erdgaskraftwerke im Schnitt rund 3.200, die Steinkohlekraftwerke durchschnittlich 3.800 Jahresvolllaststunden. Diese Werte sind in den vergangenen Jahren gesunken, da die konventionellen Kraftwerke auf Grund des stark wachsenden Anteils der fluktuierenden Stromerzeugung aus Wind und Photovoltaik zunehmend im so genannten »Lastfolgebetrieb « fahren müssen.

Vor diesem Hintergrund gibt es heute ein Potenzial zur Steigerung der Stromerzeugung in den konventionellen Kraftwerken. Gleichzeitig ist jedoch zu berücksichtigen, dass in diesen Kraftwerken auch Reserven zum Beispiel für die Regelenergiebereitstellung sowie zum Ausgleich der fluktuierenden Einspeisung aus Erneuerbaren vorgehalten werden müssen. Solcher Reserven bedarf es angesichts der ambitionierten Ziele zum Ausbau der Erneuerbaren Energien in Zukunft immer mehr.

Überdies führt eine größere Auslastung z.B. von Kohle- und Gaskraftwerken oder ggf. die Wiederinbetriebnahme von bereits stillgelegten Anlagen zu einer Erhöhung der CO2-Emissionen. Werden die sieben von der Bundesregierung genannten Kernkraftwerke für drei Monate abgeschaltet und die entsprechende Stromerzeugung zum Beispiel in einem Verhältnis von 10% / 45% / 45% durch Braunkohle-/Steinkohle-/Erdgas-Kraftwerke ersetzt, führt dies zu zusätzlichen CO2-Emissionen von rund 8 Millionen Tonnen.

Aufgrund verschiedener Faktoren ist eine Kompensation der KKW-Abschaltungen durch den bestehenden Kraftwerkspark also keine Dauerlösung. Der BDEW weist in diesem Zusammenhang auch auf die Widerstände gegen den Bau von Kohlekraftwerken hin, die in der jüngeren Vergangenheit zur Aufgabe einiger Investitionsprojekte geführt haben.

Der Bundesverband betont zudem, dass es an der Strombörse in Leipzig unweigerlich steigende Strompreise zur Folge habe, wenn relativ preiswert erzeugende Kraftwerke vom Netz genommen und durch teurere Erzeugungsarten ersetzt würden, die dann den Börsenpreis vorgeben. Kurzfristige Erhöhungen des Börsenpreises müssen sich aber nicht zwangsläufig sofort in steigenden Stromrechnungen für die Haushalte niederschlagen, weil sie im Rahmen der langfristigen Beschaffung ausgeglichen werden können. Wie sich die Strompreise auf längere Sicht entwickeln, hängt indes vom Ausgang des Moratoriums und den weiteren Überlegungen der Bundesregierung ab.

Wichtig aus Sicht des BDEW: Wenn der Ausfall durch konventionelle Großkraftwerke kompensiert wird, kann die Netzstabilität grundsätzlich aufrecht erhalten werden. Allerdings bringen die Abschaltung der sieben Reaktoren und ihr Ersatz durch andere Kapazitäten auch eine gravierende Änderung der regionalen Erzeugungsstruktur und der Lastflüsse. »Das kann Teile des Netzes vor erhebliche Probleme stellen. Deshalb muss die Bundesregierung sofort das Gespräch mit den Netzbetreibern suchen«, forderte Müller. Die aktuelle Situation zeige noch einmal überdeutlich, wie dringend der Netzausbau in Deutschland und die Verkürzung von Planungs- und Genehmigungsverfahren hierfür sei.

- er/vku/bdew -

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