Verlag Versorgungswirtschaft - page 15

auch der Kapitalkostenabzug nur auf diese Kosten beziehen,
nicht auf die erst nach dem Basisjahr neu hinzukommenden
Kosten. Diese gehen erst in das Ausgangsniveau der Folge-
periode ein, können erst ab dann positive Sockeleffekte nach
sich ziehen und unterliegen folgerichtig erst ab dann dem
Kapitalkostenabzug.
Eine weitere Übergangsregelung enthält § 34 Abs. 6 ARegV.
Danach kann der Antrag auf Kapitalkosten
aufschlag
erstmals
zum 30.06.2017 (Gas) bzw. 30.06.2018 (Strom) gestellt wer-
den. Auch dies versteht sich von selbst; einen Kapitalkosten-
aufschlag gibt es erst ab Beginn der 3. Regulierungsperiode
und die Entscheidung darüber soll aufgrund möglichst aktu-
eller Erkenntnisse über die im Planjahr zu erwartenden Kapi-
talkosten getroffen werden. Der Normtext des § 34 Abs. 6
lässt jedoch offen, ob in diesem Aufschlag
nur
die ab 2018 (Gas) bzw. 2019 (Strom) anfallenden Kapi-
talkosten aus Investitionen nach dem Basisjahr berück-
sichtigt werden können (»ex nunc«) oder
auch
die zwischen ihrer Aktivierung und Beginn der Fol-
geperiode schon
angefallenen
Kapitalkosten, bei Gas aus
2016/2017 bzw. Strom aus 2017/2018 (»ex tunc«), und ob
im letzteren Fall
• die Kapitalkosten der Vorjahre vollständig im 1. Jahr der
3. Regulierungsperiode berücksichtigt oder über das Re-
gulierungskonto über jeweils 3 Jahre verteilt ausgeglichen
werden.
6. Wortlaut, Entstehung, Systematik, Normzweck
Die Problematik der Investitionen nach dem Basisjahr soll
dem Vernehmen nach während der ARegV-Novelle mit Lan-
desbehörden erörtert worden sein. Diese sahen jedoch kei-
nen Bedarf für eine explizite Übergangsregelung. Der Ver-
trauensschutz sei hier nicht tangiert. Die VNB könnten sich in
den beiden Jahren nach dem Basisjahr auf solche Investitio-
nen beschränken, die über einen EWF oder eine IM zeitnah
refinanzierbar seien, seien also quasi selber schuld, wenn
ihnen aus Investitionen nach dem Basisjahr für die 3. Periode
ein negativer Sockeleffekt erwüchse.
Diese Argumente werden der Problemlage nicht gerecht. Zwar
ist der Vertrauensschutz in der Tat nicht tangiert. Die VNB
sind jedoch keineswegs frei, ob sie 2 Jahre lang Ersatzinves-
titionen vornehmen oder nicht. Zum einen beinhaltet die
Netzbetriebs- und -ausbaupflicht gem. § 11 Abs. 1 S. 1 EnWG
eine indirekte Investitionspflicht. Zum anderen steigt bei
einem Verzicht auf notwendige Ersatzinvestitionen der In-
standhaltungsaufwand und auch das Ausfallrisiko. Vermehrte
Versorgungsunterbrechungen werden im Rahmen der Quali-
tätsregulierung gem. §§ 18 ff. ARegV durch EO-Abschläge
pönalisiert. Zum dritten sind bei effizienten VNB die perso-
nellen Ressourcen für die Projektplanung, Ausschreibung,
Bauüberwachung und Bauabnahme so knapp bemessen, dass
eine kontinuierliche Reinvestitionstätigkeit »alternativlos« ist;
notwendige Ersatzinvestitionen können nicht einfach zwei
Jahre zurückgestellt und später nachgeholt werden.
Da das Problem der Ersatzinvestitionen in den beiden Jahren
nach dem Basisjahr während der Novelle nicht hinreichend
erkannt wurde, ist unklar, ob der Bundesrat eine explizite
Übergangsregelung für solche Investitionen deshalb nicht ge-
fordert hat, weil er die damit verbundenen negativen Sockel-
effekte, insbesondere den Verlust von 1–2 Jahresscheiben
kalkulatorischer Abschreibungen,
wollte
(»beredtes Schwei-
gen«) oder ob er eine explizite Übergangsregelung für über-
flüssig hielt, weil die im Rahmen der Novelle ohnehin vorge-
sehenen Regelungen schon eine angemessene Lösung ermög-
lichten. Somit lassen Normtext und Systematik der neuen
ARegV sowie die Materialien keinen eindeutigen Schluss zu,
ob die vor dem 1. Periodenjahr angefallenen Kosten aus In-
vestitionen nach dem Basisjahr im Rahmen der §§ 10a, 34
Abs. 6 ARegV berücksichtigungsfähig sind oder nicht.
Für ihre Berücksichtigung spricht jedoch Sinn und Zweck des
Kapitalkostenabgleichs, nämlich eine zeitnahe Erlöswirksam-
keit der nach dem Basisjahr (2015 für Gas, 2016 für Strom)
vorgenommenen Investitionen unter Vermeidung negativer und
positiver Sockeleffekte (s.o. unter 2.). Bei Investitionen nach
dem Basisjahr wird dieser Zweck nur erreicht, wenn nicht
erst die ab dem 1. Jahr der 3. Regulierungsperiode resultie-
renden Kosten aus Investitionen nach dem Basisjahr ex nunc
im Kapitalkostenaufschlag berücksichtigt werden, sondern
auch die in den 1-2 Vorjahren angefallenen Kosten (ex tunc);
nur dann wird ein negativer Sockeleffekt vermieden und eine
zeitnahe Refinanzierung gesichert. Selbst wenn der Wortlaut
der §§ 10a, 34 Abs. 6 ARegV dies offenlässt, läge insoweit
eine planwidrige Regelungslücke vor, die durch eine entspre-
chende Anwendung dieser Vorschriften zu schließen wäre.
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7. EnWG-konforme Auslegung
Fraglich ist, ob Art, Umfang und Zeitpunkt des Kapitalrück-
flusses aus Investitionen im freien Ermessen des Verordnungs-
gebers steht oder ob dieses normative Ermessen durch Vor-
gaben des Energiewirtschaftsgesetzes beschränkt ist. Nach
Art. 80 Abs. 1 GG muss der Gesetzgeber einen nach Inhalt,
Zweck und Ausmaß hinreichend konkreten Regelungsrah-
men vorgeben. Nur soweit sich der Verordnungsgeber in die-
sem Rahmen bewegt, hat er ein normatives Ermessen; über-
schreitet er ihn, ist seine Regelung unwirksam. Deshalb sind
Verordnungen im Zweifel so auszulegen, dass sie sich inner-
halb des gesetzlich vorgegebenen Rahmens bewegen; denn
dem Verordnungsgeber ist zu unterstellen, dass er eine wirk-
same, von der Ermächtigungsgrundlage gedeckte Regelung
treffen wollte.
Zu einer solchen gesetzeskonformen Auslegung untergesetz-
lichen Rechts ist
jedes
Gericht befugt. Restriktionen gibt es
nur bei förmlichen Gesetzen
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und für eine EU-rechtskonfor-
me Auslegung von Gesetzen und untergesetzlichen Rechts-
normen.
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a) Erreichbarkeit und Übertreffbarkeit der Erlösobergrenze
Aus § 21a Abs. 5 S. 4 EnWG folgt, dass die nach den Vor-
gaben der ARegV festgelegte EO für den Netzbetreiber er-
reichbar und übertreffbar sein muss. Diese Vorgabe ist zwar
indirekt auch dann verletzt, wenn das Erlösniveau deshalb zu
niedrig festgelegt wird, weil bestimmte tatsächlich entstan-
dene Kosten dauerhaft nicht in der EO berücksichtigt wer-
den. Gleichwohl bezieht sich § 21a Abs. 5 S. 4 EnWG, wie der
gesamte Absatz 5, auf die Effizienzvorgaben, d. h. den gene-
rellen und individuellen Erlössenkungsfaktor (X gen, X ind
gem. §§ 9, 16 ARegV), und ist für das hier erörterte Über-
gangsproblem nicht einschlägig.
b) Wettbewerbsfähige, risikoangepasste EK-Verzinsung
§ 21 Abs. 2 S. 1 EnWG verlangt als Vorgabe für die Netzzu-
gangsentgelte und damit indirekt auch für die EO eine wett-
bewerbsfähige, risikoangepasste EK-Verzinsung. Zwar ließe
sich aus kaufmännischer Sicht bei längerlebigen Wirtschafts-
gütern argumentieren, wenn die Kapitalkosten aus Investitio-
nen in den beiden Jahren nach dem Basisjahr erst ex nunc ab
HEFT 1 2017
VERSORGUNGSWIRTSCHAFT
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Ähnlich wie beim EWF; hier schien der Wortlaut des § 10 ARegV nur eine
Berücksichtigung von Parameter-Änderungen
während
der Regulierungs-
periode und eine EO-Anpassung ab dem 2. Periodenjahr zu erlauben.
Lt. BGH, Beschl. v. 28.06.2011 – EnVR 48/10, RdE 2011, 308, 313 f.,
VW-DokNr. 11001047, war jedoch im Hinblick auf den Regelungszweck
eine entsprechende Anwendung des § 10 ARegV schon auf Parameter-
Änderungen in den beiden Vorjahren geboten und die EO schon im 1. Pe-
riodenjahr anzupassen.
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Bei Zweifeln an der Verfassungskonformität gilt hier die Vorlagepflicht
gem. Art. 100 GG, §§ 13 Nr. 11, 80 ff. BVerfGG.
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Instanzgerichte können dies dem EuGH zur Entscheidung vorlegen
(Art. 267 S. 2 AEUV), letztinstanzliche Gerichte sind dazu verpflichtet
(Art. 267 S. 3 AEUV).
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