Verlag Versorgungswirtschaft - page 18

Die Klägerin teilte der Beklagten mit Schreiben vom
11.11.2006 unter anderem folgendes mit: »
Der Gesetzgeber
hat die Rahmenbedingungen für die Erdgasversorgung von
Haushaltskunden in Deutschland grundlegend geändert, um
für mehr Wettbewerb und bessere Verbraucherrechte zu sor-
gen. In Folge dieser Gesetzesänderungen müssen wir Ihren
Erdgaslieferungsvertrag zu den bisherigen Bedingungen zum
31.12.2006 beenden.
« Weiter teilte sie mit: »
Aber keine Sorge,
wir versorgen Sie übergangslos ab 01.01.2007 in gewohnter
Zuverlässigkeit auf Basis unseres neuen Preisangebots …,
das alle neuen gesetzlichen Vorgaben berücksichtigt.
«
1
Das
Schreiben trug vor den gedruckten Namen zwei (vervielfält-
igte) Unterschriften. Die Beklagte bezog ab dem 01.01.2007
weiterhin Gas von der Klägerin. Mit Schreiben vom 22.11.2007
teilte sie der Klägerin mit, dass sie mit der Umstellung auf das
neue Angebot ab 01.01.2007 keinesfalls einer – im Übrigen
von ihr als unbillig beanstandeten – Preiserhöhung zustimme.
In der Folgezeit glich die Beklagte die von der Klägerin ge-
forderten Abschlagszahlungen nicht in voller Höhe aus.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass das Vertragsverhältnis
mit der Beklagten aufgrund des als Änderungskündigung zu
wertenden Schreibens vom 11.11.2006 zum 01.01.2007 in ein
Tarifkundenverhältnis überführt worden sei, da die Beklagte
auch nach der Beendigung des Sonderkundenvertrags zum
31.12.2006 weiterhin Gas von ihr bezogen habe.
Das Landgericht hat der Klage, unter deren Abweisung im
Übrigen, im Wesentlichen stattgegeben.
Die Berufung der Beklagten zum Kammergericht blieb er-
folglos. Der ursprünglich zwischen den Parteien bestehende
Normsonderkundenvertrag sei durch das Schreiben der Klä-
gerin vom 11.11.2006 wirksam zum 31.12.2006 gekündigt
worden. Zwar deute die Überschrift »
Alles wird einfacher –
das neue … Preissystem
« lediglich auf eine Änderung im Preis-
system hin, aus dem nächsten Satz des Schreibens »
In Folge
dieser Gesetzesänderungen müssen wir Ihren Erdgasliefe-
rungsvertrag zu den bisherigen Bedingungen zum 31.12.2006
beenden
« erkenne der Kunde jedoch, dass die Klägerin das
Vertragsverhältnis mit ihm zum 31.12.2006 beenden wolle, da
das Wort »beenden« seinem Inhalt nach eine Kündigung be-
deute. Dem Kunden sei in den folgenden Absätzen des
Schreibens eine Handlungsalternative aufgezeigt worden,
mit der Folge, dass dem Kunden ein Angebot auf Abschluss
eines Tarifkundenvertrags gemacht worden sei, welches die
Beklagten durch den weiteren Gasbezug über den 01.01.2007
hinaus auch angenommen hätten. Bereits die Verwendung
des Begriffs »Angebot« verbinde der Kunde mit der Vorstel-
lung, dass er dieses annehmen oder ablehnen könne. Schon
dadurch sei dem Kunden eine bestehende Entscheidungs-
möglichkeit hinreichend verdeutlicht worden. Daran ändere
auch der Passus »
Was müssen Sie jetzt tun? Nichts – Ihre Ver-
tragsumstellung funktioniert automatisch
« nichts. Der ver-
ständige Kunde entnehme dem nur, dass es keiner ausdrück-
lichen Willenserklärung bedürfe, um das Angebot für den
Gasbezug auf der Grundlage des neuen Tarifs anzunehmen.
Zum anderen werde der Kunde dem folgenden Text entneh-
men, dass er auch den Online-Tarif der Klägerin wählen
könne, dessen Geltung allerdings ein aktives Tun erfordere.
Durch die Eröffnung dieser Wahlmöglichkeit habe der Kunde
das Verständnis entwickeln können, dass die Einstufung in
den neuen Tarif nur dann »automatisch« erfolge, wenn er,
ohne aktiv tätig zu werden, weiterhin Gas von der Klägerin
beziehe.
Die vereinbarte Schriftform sei im Schreiben vom 11.11.2006
eingehalten worden. Denn das Schreiben trage den jeweili-
gen individuellen Namenszug der in der Unterschriftszeile
genannten Personen, die für den Inhalt des Schreibens Ver-
antwortung übernommen hätten. Selbst wenn es sich hierbei
nicht um Originalunterschriften, sondern um Vervielfältigun-
gen gehandelt haben sollte, ändere das nichts; auch in die-
sem Fall sei die Schriftform eingehalten worden. Denn nach
§ 127 Abs. 1 BGB gelte die Vorschrift des § 126 BGB nur im
Zweifel. Vorrangig sei die Auslegung, welche Anforderungen
die Parteien an die gewählte Schriftform hätten stellen wol-
len. Diese Auslegung führe zu dem Ergebnis, dass die Partei-
en für die Wahrung der Schriftform keine eigenhändigen
Unterschriften der Vertreter der Klägerin für erforderlich ge-
halten hätten. Die gewillkürte Schriftform solle zu keinen
merklichen Belastungen der Vertragsparteien führen. Nach
der Neufassung des § 127 BGB genüge für die Einhaltung der
Schriftform neben dem Telegramm, das Fernschreiben, Tele-
text oder Fax. Dies zeige, dass das Erfordernis einer eigen-
händigen Unterschrift zur Einhaltung der gewillkürten Schrift-
form vom Gesetzgeber für verzichtbar gehalten worden sei,
sofern der Urheber angegeben werde und die Einhaltung der
Schriftform lediglich die Eindeutigkeit und Endgültigkeit der
Erklärung dokumentieren solle. Da es für die Kündigung der
Klägerin im Massenverkehr mit ihren Kunden ersichtlich
darum gegangen sei, die Kündigung eindeutig und endgültig
gegenüber den Kunden zu erklären, die Schriftform mithin
Dokumentations- und Beweiszwecken habe dienen sollen,
führe die Auslegung der Schriftformklausel dazu, dass bei
der massenhaften Versendung von Briefen an die Kunden
eine eigenhändige Unterschrift der Mitarbeiter der Klägerin
nicht erforderlich sei.
3.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision ver-
folgte die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter. Die
Revision hatte keinen Erfolg. Der Bundesgerichtshof (BGH)
folgt dem Kammergericht in allen Punkten. Die wesentlichen
Aussagen des BGH sind in vorstehenden Leitsätzen zusam-
mengefasst.
4.
Die Besonderheit des Falles lag darin, dass die Kündigung
anlässlich der Umstellung von der AVBGasV auf die GasGVV
vom bisherigen Gebietsversorger und nunmehrigen Grund-
versorger gegenüber einem – so ersichtlich der allerdings nicht
weiter diskutierte
2
Ausgangspunkt des Berufungsgerichts und
des BGH – Haushaltskunden
3
ausgesprochen wurde. Vorlie-
gend hätte, den Haushaltskunden unterstellt, eigentlich auch
schlicht die Darlegung genügt, die Kündigung sei wirksam,
denn das Zustandekommen des Grundversorgungsvertrages
ab dem 01.01.2007 ergab sich unabhängig vom Inhalt des
Schreibens der Klägerin bereits aus § 2 Abs. 2 Satz 1 GasGVV.
Nohl/Dietzel
4
diskutieren deshalb die Frage, ob es in der hier
vorliegenden Fallgestaltung nicht genauso möglich sein kann,
eine Realofferte des Lieferanten, der nicht Grundversorgers
ist, anzunehmen. In der Tat hätte es ansonsten einiger Darle-
gungen durch den BGH gar nicht bedurft.
Jedenfalls bestätigt sich hier erneut, dass die Änderungskün-
digung für den Lieferanten bei Preis- und Bedingungsände-
rungen die Methode der Wahl ist. Eine Musterformulierung
hat der Autor erst jüngst in dieser Zeitschrift veröffentlicht.
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Der dort formulierte Mechanismus setzt natürlich voraus,
dass ein Recht zur ordentlichen Kündigung besteht. Dies
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VERSORGUNGSWIRTSCHAFT
HEFT 1 2017
1
Zum vollständigen Text, der auch einige (weitere) Vertriebsprosa enthält,
siehe den Volltext der Entscheidung.
2
Der Unterschied zwischen »Verbraucher« i.S.d. § 13 BGB und »Haushalts-
kunde« i.S.d. § 3 Nr. 22 Alt 1 EnWG wird von der Rechtsprechung regel-
mäßig nicht gesehen, siehe etwa
Brändle
, VersorgW 2015, 176, DokNr.
15003508 und jüngst
Brändle
, ZfIR 2016, 729, 731.
3
Was allerdings bei Licht betrachtet hier nicht zutrifft, denn Beklagte war
eine Wohnungseigentümergemeinschaft, welche nach BGH, Urteil vom
25.03.2015 – VIII ZR 243/13, DokNr. 15003508 zwar in der Regel Verbrau-
cher i.S.d. § 13 BGB aber keineswegs Haushaltskunde ist, denn sie ver-
feuert das Erdgas nicht für ihren – nicht existenten – Haushalt, sondern um
ihren Mitgliedern Wärme zu liefern.
4
Nohl/Dietzel
, IR 2016, 201, 203.
5
Brändle
, VersorgW 2016, 238, 240, DokNr. 16003920.
1...,8,9,10,11,12,13,14,15,16,17 19,20,21,22,23,24,25,26,27,28,...36