Verlag Versorgungswirtschaft - page 16

Beginn der 3. Regulierungsperiode berücksichtigt würden,
ergäbe sich durch den negativen Sockeleffekt aus den 1–2 voran-
gegangenen Jahren über die gesamte Lebensdauer letztlich
nur eine geringere EK-Verzinsung.
23
Diese Argumentation
greift jedoch zu kurz, wie sich insbesondere bei kürzerlebi-
gen Wirtschaftsgütern zeigt.
Schwerfahrzeuge, elektronische Haushaltszähler und künftig
auch moderne Messeinrichtungen und intelligente Mess-
systeme (§ 2 Nr. 13, 15 MsbG) werden kalkulatorisch über
8 Jahre abgeschrieben, Leichtfahrzeuge über 5 Jahre, EDV-
Hardware über 4–8 Jahre, EDV-Software gar nur über 3–5
Jahre.
24
An diesen Beispielen wird deutlich, dass es hier im
Kern nicht um etwas mehr oder weniger Kapitalverzinsung
geht. Die Frage, ob 1–2 Jahresscheiben kalkulatorischer Ab-
schreibung irgendwann während der Lebensdauer eines Wirt-
schaftsguts erlöst werden können (wenigstens wie nach alter
ARegV am Ende der kalkulatorischen Nutzungsdauer) oder
ob sie dauerhaft und endgültig nicht erlöst werden können,
hat eine andere Qualität. Hier geht es nicht mehr um die
Rendite für die Kapitalgeber, sondern darum, ob tatsächlich
entstandene Kosten erlöst werden dürfen oder nicht.
c) Anspruch auf vollständige Deckung effizienter Kosten
§ 21 Abs. 2 S. 1 EnWG enthält zunächst den Grundsatz der
Kostendeckung
(»Entgelte werden auf der Grundlage der
Kosten … gebildet«),
25
schränkt ihn aber gleichzeitig dahin-
gehend ein, dass dies nur für
effiziente
Kosten gilt (»Kosten
einer Betriebsführung, die denen eines effizienten und struk-
turell vergleichbaren Netzbetreibers entsprechen müssen,
unter Berücksichtigung von Anreizen für eine effiziente Leis-
tungserbringung«).
26
§ 21a Abs. 4 EnWG konkretisiert diese Effizienzanforderun-
gen. Danach ist, analog zum Vergleichsmarktprinzip bzw.
Als-ob-Wettbewerbskonzept der Kartellbehörden und -ge-
richte, zu unterscheiden zwischen
nicht beeinflussbaren
Kos-
ten, die auf nicht zurechenbaren, strukturellen Unterschie-
den der Netzgebiete oder politischen Zusatzkosten beruhen,
und
beeinflussbaren
, dem Netzbetreiber individuell zurechen-
baren Kosten; letztere rechtfertigen höhere Entgelte
nicht
und dürfen nach § 20 EnWG nicht in die Netzentgelte einge-
hen. Umgekehrt folgt aus der Regelungssystematik der §§ 21
Abs. 2, 21a Abs. 4 EnWG, dass ein Netzbetreiber die Kosten
aus
effizienten
Investitionen irgendwann während oder am
Ende ihrer kalkulatorischen Lebensdauer erlösen können
muss.
Der gesetzliche Rahmen lässt dem Verordnungsgeber einen
Ermessensspielraum, wie die Kosten zu ermitteln sind,
27
z. B.
welches der verschiedenen betriebswirtschaftlich vertretenen
Kapitalerhaltungskonzepte
28
zugrunde zu legen ist, um die
Kosten aus Investitionen zu ermitteln. Er lässt auch einen
Spielraum, wie die Effizienz bzw. die nicht berücksichti-
gungsfähigen, ineffizienten Kosten zu ermitteln sind, sei es,
wie früher in der Kostenregulierung, durch ein Vergleichsver-
fahren oder Partial-Benchmarking bestimmter Kostenpositio-
nen,
29
sei es, wie in der Anreizregulierung, durch ein formali-
siertes und standardisiertes Benchmarking bestimmter Input-
und Output-Faktoren (§§ 11 ff. ARegV).
30
Ein Ermessen hat der Verordnungsgeber auch, ob Kosten
(wie nach bisheriger ARegV) erst mit einem gewissen zeit-
lichen Versatz erlöst werden können oder zeitnah. Er hat aber
kein Ermessen, ob er – bei festgestellter Effizienz – eine De-
ckung von Kosten überhaupt zulässt oder ob er hiervon mehr
oder minder große Abstriche vornimmt, im Extremfall (bei
kürzerlebigen Wirtschaftsgütern, z. B. einer über 3 Jahre ab-
geschriebenen EDV-Software) u. U. sogar ein Großteil der
Kosten unberücksichtigt bliebe. Dies wäre mit der Rege-
lungssystematik der §§ 21 Abs. 2, 21a Abs. 4 EnWG unverein-
bar. Eine EnWG-konforme Auslegung der §§ 10a, 34 Abs. 6
ARegV führt dazu, dass die in den 1-2 Jahren vor der 3. Re-
gulierungsperiode angefallenen Kosten aus Investitionen nach
dem Basisjahr über den Kapitalkostenaufschlag letztlich ex
tunc mit in die EO für die 3. Regulierungsperiode eingehen
müssen
.
8. Praktische Umsetzung
Aus diesem durch teleologische und EnWG-konforme Aus-
legung der §§ 10a, 34 Abs. 6 ARegV gewonnenen Ergebnis
folgt nicht, dass die Kapitalkosten der Vorjahre sofort im
1. Jahr der 3. Regulierungsperiode vollständig
erlöswirksam
werden müssen. Wie schnell der Kapitalrückfluss erfolgt, liegt
im Ermessen des Verordnungsgebers. Die Systematik der ARegV
zeigt, dass Netzentgeltschwankungen durch kurzfristige Son-
dereffekte möglichst gering gehalten werden sollen: So wird
das Regulierungskonto künftig jährlich für das Vorjahr sal-
diert und der Saldo in den 3 Folgejahren aufgelöst (§ 5 Abs. 1, 3
ARegV). Der u.U. größere, 4–5 Jahre umfassende Saldo aus
der 2. Regulierungsperiode wird sogar gleichmäßig bis zum
Ende der 3. Regulierungsperiode verteilt (§ 34 Abs. 4 ARegV).
Dieses Vergleichmäßigungsziel würde verfehlt, wenn die Ka-
pitalkosten der Vorjahre über den Kapitalkostenaufschlag
vollständig im 1. Jahr der 3. Regulierungsperiode nachgeholt
würden. Der Verordnungsgeber hat dies nicht vorherge-
sehen, da er sich mit der Problematik der Investitionen nach
dem Basisjahr nur unzureichend befasst hatte (s.o. unter 6.).
Insoweit besteht hier eine planwidrige Regelungslücke, die
durch entsprechende Anwendung des § 5 Abs. 1a ARegV zu
füllen ist.
Der Erstantrag auf Kapitalkostenaufschlag kann ohnehin erst
zum 30.06.2017 (Gas) bzw. 30.06.2018 (Strom) gestellt wer-
den (§ 34 Abs. 6 ARegV, s.o. unter 5.). In Bezug auf die Vor-
jahreskosten aus Investitionen nach dem Basisjahr wäre im
Antrag auch darzulegen, dass diese Kosten nicht schon im
Rahmen eines EWF-Antrags geltend gemacht wurden, d.h.
dass es sich ausschließlich um Ersatz-, nicht um Neu- oder Er-
weiterungsinvestitionen handelt.
31
Zum gleichen Zeitpunkt
wie der Erstantrag auf Kapitalkostenaufschlag ist auch die Auf-
lösung des Regulierungskontos zu beantragen, bei Gas erst-
mals zum 30.06.2017 für 2012–16, bei Strom zum 30.06.2018
für 2017. Dort ist auch der Plan-Ist-Abgleich für den Kapital-
kostenaufschlag vorzunehmen (§ 5 Abs. 1a ARegV, s.o. unter
2.). Zwar bezieht sich diese Regelung auf die im Kapital-
kostenaufschlag enthaltenen
Plan
kosten. Da die o.g. Kosten
aus Investitionen nach dem Basisjahr aber z.Z. der Antrag-
stellung schon angefallen
sind
, entspricht es Sinn und Zweck
14
VERSORGUNGSWIRTSCHAFT
HEFT 1 2017
23
Dazu
Zöckler/Schwieters
, ET 2016, H. 9, S. 20, 22.
24
Anlage 1 zur Strom- und GasNEV, Nr. I.9, 10.
25
Vgl. dazu
Missling
in Danner/Theobald, § 21 Rn. 45;
Busse von Colbe
in
Säcker, BerlKommEnR, Vor § 21 Rn. 32 ff.;
Säcker/Meinzenbach
, ebd., § 21
Rn. 59 ff.;
Schütte
in Kment, EnWG, § 21 Rn. 68 ff.;
Groebel
in Britz/Heller-
mann/Hermes, EnWG, § 21 Rn. 6 ff. und (zu den entsprechenden EU-
rechtlichen Vorgaben) Rn. 34 ff.
26
Vgl. dazu
Missling
, ebd., Rn. 54 ff.;
Säcker/Meinzenbach
, ebd., Rn. 116 ff.;
Busse von Colbe
, ebd., Rn. 19 ff.;
Schütte
, ebd., Rn. 73 ff.;
Säcker
, AöR
2005, 180, 201 ff.
27
Dazu
Busse von Colbe
, ebd. Rn. 32 ff.;
Maltry
in Baur/Salje/Schmidt-Preuß,
Kap. 76 Rn. 13 ff.
28
Maltry
, ebd., Rn. 26 ff.
29
Vgl.
Matz
in Baur/Salje/Schmidt-Preuß, Kap. 77, Rn. 6 ff.
30
Vgl.
Pedell
, ebd., Kap. 79 Rn. 22 ff.; Weyer, ebd., Kap. 83 Rn. 23 ff.
31
Der Prüfungsaufwand für die Behörde ist kein Argument gegen eine Be-
rücksichtigung im Kapitalkostenaufschlag; bei genehmigten IM, die bis
zum Ende der 3. Regulierungsperiode fortgelten (§ 34 Abs. 7 S. 2, 3
ARegV), ist ebenfalls zu prüfen, dass die Kosten aus solchen Investitionen
nicht nochmals im Kapitalkostenaufschlag berücksichtigt werden (§ 34
Abs. 7 S. 4 ARegV); beim EWF, der schon mit Ende der 2. Regulierungspe-
riode wegfällt (§ 34 Abs. 7 S. 1 ARegV), ist eine entsprechende Prüfung
zum Ausschluss einer Doppelanerkennung nur für 2 Überlappungsjahre
notwendig.
1...,6,7,8,9,10,11,12,13,14,15 17,18,19,20,21,22,23,24,25,26,...36